Der Intendant des Mailänder Teatro alla Scala, Alexander Pereira, scheint eine echte Leidenschaft für die Werke von Umberto Giordano entwickelt zu haben. Schon als Intendant des Züricher Opernhauses ließ er dort Andrea Chénier, Fedora, Madame Sans-Gêne und La cena delle beffe aufführen – wobei in derselben Zeit, außer Cavalleria rusticana, keine weitere Oper von z.B. Mascagni geplant wurde. Dass er jetzt in la Scala La cena delle beffe auf dem Programm setzt scheint da konsequent. Allerdings hat er diesmal Giordano keinen guten Dienst erwiesen. La cena delle beffe ist keine Oper, die man so sorglos aufführen kann.
Als Umberto Giordano für seine neunte und vorletzte Oper ein Sujet aus der italienischen Renaissance wählte, war die Renaissance-Mode schon fast vorbei. Das Libretto dieser Oper ist eine von Sam Benelli verfasste Reduktion seiner gleichnamigen Tragödie, die 1908 entstand, also zu einer Zeit, als die Renaissance-Welle noch in ihrer ganzen Fülle erstrahlte.1908 hatte die literarische Produktion von Werken mit Renaissance-Sujets schon etwas abgenommen, nachdem Schriftsteller wie z. B. Hoffmannsthal, D’Annunzio, Wilde, die Gebrüder Mann, Maeterlinck und Gobineau viel dazu beigetragen hatten, sie fand aber in der Oper eine neue Verwendung, so dass bis 1920 Werke wie Parisina, Francesca da Rimini, Gianni Schicchi, Violanta, Mona Lisa, Die Gezeichneten, Eine florentinische Tragödie den neuesten musikalischen Trend setzten. 1924 war aber auch musikalisch das Renaissance-Thema nicht mehr so aktuell, so stützt die Oper Giordanos hauptsächlich auf Rückblicken: dem Ruf des Komponisten, der internationalen Anerkennung der Tragödie von Benelli und den vorangehenden Erfolgen anderer Opern mit ähnlichen Sujets. Also nichts Neues. Selbst die Musik von Giordano klingt trotz ein paar Neuigkeiten nicht so modern und bleibt deutlich hinter dem damaligen Stand Puccinis und Mascagnis, um von den Opernkomponisten der neuen Generation wie Zandonai, Respighi, Pizzetti und Malipiero zu schweigen und deutschen, französischen, tschechischen und russischen Komponisten völlig beiseite zu lassen. Diese Oper ruht eher auf den für den Stil von Giordano üblichen Eigenschaften, wie der lebendigen Charakterisierung der einzelnen Figuren oder dem Glanz der Stimmen auf beschwerlichen Melodien. Im Vergleich aber mit anderen Opern wie Andrea Chénier, Fedora oder Siberia verzichtet hier der Komponist auf leichtere Mittel des Publikumsbeifalls wie stark prägnante Romanzen und Duetten bzw. imposante Chorszenen. Darüber hinaus gibt es in diesem Werk keine echte Spannung und das Finale könnte man sogar als verfehlt bezeichnen. Die Musik diese Oper ist, anders gesagt, sehr zerbrechlich, nicht stark genug, um Misshandlungen schadlos ertragen zu können. La cena delle beffe wieder auf die Bühne zu bringen erfordert dementsprechend eine besondere Sorgfalt in den Details, um die richtige Wirkung zu erzielen. Die 1996 mit Begeisterung begrüßte Züricher Aufführung zeigte, dass so eine Unternehmung gelingen kann (der Aufnahme kann streaming auf soundcloud noch gehört werden); diese Mailänder Aufführung zeigt genau das Gegenteil. Von der dummen-schalen Inszenierung bis zu den steifen Sängern und dem hastigen Dirigent war der Eindruck so schrecklich, dass man sich am Ende fragen sollte, ob diese Musik überhaupt einen tieferen Wert besitzt.
Dass dies so kommen würde, war teilweise schon aus der Besetzung vorhersehbar. Der Dirigent Carlo Rizzi, sicher ein Expert des Repertoires, zeigte keine besondere Begeisterung für diese Partitur: Es verschwanden rasch unter seinem Stab jegliche Motive des Interesses, vom wagnerischen Schwung einiger Melodien bis zur bizarren Mischung aus komischen und gruseligen Szenen, und übhörbar schlüpften alle Dissonanzen und Feinheiten der Instrumentierung an einem vorbei. Die Rolle des Protagonist war vom imposanten Marco Berti besetzt, der sicher eine kräftige Stimmehat und kein Furcht vor hohen Tönen zeigt, aber musikalisch und szenisch kaum Ausdruck demonstriert. Er kann gut Heldenrollen verkörpern, aber leider nicht so eine komplexe Figur wie Giannetto. Diese Rolle besteht nicht nur auf einer Reihe von hohen und tiefen Tönen, sondern aus Affekten, die von dem Hass und der Rachgier gegen den Chiaramantesi bis zur Leidenschaft für Ginevra und zum schrecklichen Einsamkeitsgefühl im Finale reichen. Wenn dies alles starr, mit ständig Forte und mit demselben Ausdruck gesungen wird, hört die Rolle vollständig aus, einen musikalischen Sinn zu haben. Dazu war Berti am 20. April, als ich die Oper besuchte, angeblich nicht besonders fit, weshalb er wohl oft mit mangelnder Intonation sang. Die anderen zwei Hauptrollen waren nicht in der Lage, die Aufführung zu retten: Nicola Alaimo als Neri war ungefähr genauso unbeweglich wie Berti, obwohl wenigstens ausdrucksreicher. Kirsten Lewis, von der man kein einziges Wort verstehen konnte, verkörperte eine völlig reizlose, langweilige Ginevra. Ein guter Regisseur hätte der Unbeweglichkeit von Berti und Alaimo irgendwie durch Bühnenerfindungen abgeholfen – und darin lag meine letzte Hoffnung für diese Produktion. Was tat aber Mario Martone? Um ein Beispiel zu machen: Statt die Vielschichtigkeit der Liebe-Hass-Beziehungen zwischen der verschiedenen Teilnehmerdes Abendessens des Titels darzustellen, ließ sie der Regisseur anteilnahmslos am Tisch sitzen, während ein Schar von Kellner verschiedene Gerichte hin und her an andere Tische brachten (die Szene spielt in einer Art Mafia-Restaurant). Die Lage aber verschlimmerte sich noch weiter. Warum sollte die arme Cintia (Chiara Isotton, die übrigens ihre wenigen Takte viel besser als die Protagonistin sang) sich für eine Hälfte des 2. Aktes masturbieren? Und die Schießerei beim Mafia-Finale – das war nurmehr traurig und miserabel! Warum so reiche und komplizierte Bühnenbilder auf drei verschiedenen, höhenverstellbaren Bühnenschichten verschwenden, wenn man keine kreative Idee hat? Was macht übrigens ein Friseursessel im Keller eines Restaurants? Und wieso hat die Wohnung Ginevras zwei Eingänge – vor allem wenn bei der einzigen Szene, bei der so eine Einrichtung sinnvoll erscheinen können hätte (als Giannetto sich versteckt, während Neri ins Zimmer stürzt, ihn zu ermorden) Giannetto doch aus dem Fenster hinaussteigt? Nach einer Weile, als ich bemerkte, dass es sich nicht lohnte, diese Inszenierung weiter zu folgen, versuchte ich die Oper mit geschlossenen Augen zu genießen. Dann aber sollte ich wegen der des musikalisch kein Deut besseren Teils die Augen wieder aufmachen und mich mit der dummen Inszenierung konfrontiert sehen.
Meine Reaktion nach dieser Aufführung kann man hoffentlich verstehen: